In die Berghänge eingebettet liegt Altenau und in der Ferne ragt eine Gesteinsformation hoch empor, die Wolfswarte. Auf diese Höhe soll es hinauf gehen? Doch gemach, die Wanderung nutzt auf einem Großteil der Strecke den komfortablen Verlauf des Dammgrabens zur Überlistung des Höhenunterschiedes.
Nach einem Viertelstündchen sehen wir es auf einer stillen Waldwiese vor uns; das Polsterberger Hubhaus ist heute eine gemütliche Waldgaststätte und jedes Jahr zu Pfingsten der Treffpunkt für tausende zum Oberharzer Heimattreffen. Einst diente es dem Wärter der Hubkunst zur Wohnung. Hier nämlich wurde das Wasser des Dammgrabens um 18 m zum Alten Tränkegraben gehoben, durch den es dann dem Jägersbleeker Teich zufloss. Das heben besorgte eine „Hubkunst“, wir würden sagen: eine Pumpe. Zum Heben brauchte man natürlich auch Wasser, nahm dazu aber beileibe nicht das mit dem Dammgraben mühsam herangeführte. Ganz unten im Tale drehten sich am Polstertaler Teich zwei Wasserräder. Hölzerne „Feldgestänge“ von zusammen über 700 m Länge übertrugen, ähnlich den Pleueln einer Dampfmaschine, die Kraft den Berg hinauf. 1801 wurde diese technische Lösung erfunden, 1909 wurde sie durch eine elektrische Pumpe ersetzt.
Es geht weiter auf dem 10-H-Weg, der jetzt den alten Tränkegraben begleitet. Wir wandern auf dem Jägersbleeker Teich zu. Den kennen wir schon. Darum zweigen wir, wo eine Forststraße den Weg kreuzt, nach links ab. Immer geradeaus, den 9-A-Weg kreuzen, stoßen wir nach etwa 1,5 km auf die Bundesstraße, gehen nach rechts etwa 500 m an ihr entlang, bis an der gegenüberliegenden Seite ein Parkplatz auftaucht. Hier überquert der Obere Kehrzug-Graben die Straße zum Hirschler Teich hin.
Auf dem Parkplatz beginnen mehrere Forststraßen. Wir nehmen die links aufwärts steigende. Wir kommen vorbei am Innerstesprung, einem winzigen Stauteich, in dem die Innerste, einer der größten Harzflüsse, wenige Meter nach Ihrer Quelle das erste mal gestaut wird. Sechs mal wird Ihr dies allein auf dem Clausthaler Hochplateau noch geschehen. Wald umfängt uns auf dem flachen Buckel des Kehrzugs. Ehe die Forststraße hinab ins Huttal geht, zweigen wir links ab, denn unser nächstes Ziel ist die Huttaler Widerwaage. Wir finden einen geräumigen Platz in einer Talmulde, ein Staubecken, war hinter das Mundloch des Wasserlaufs, eine Abfallrösche, über die gefährlicher Wasserüberschuss zu Tale stürzte, und dem Beginn des Huttaler Grabens.
Wir sind hier nicht mehr im Einzugsgebiet der Innerste oder der Oker, sondern der Söse. Und wir erinnern uns: Der Wasserlauf geht hin zum Hirschler Teich, der Graben ist totsöhlig, d.h. total eben. Das Wasser konnte in beide Richtungen fließen. Eine Hinweistafel an dem kleinen Platz gibt ausführliche Auskunft. Wir begleiten den Graben im weiten Bogen am südlichen Sonnenhang über das Huttal entlang mit wunderschöner Aussicht. Am Talschluss geht der Weg über den Damm eines früheren Teiches.
Von der anderen Seite brachte der jetzt verfallene Schwarzenberger Graben weitere Wasser heran. Beide zusammen gingen nahe dem Teich in den Schwarzenberger Wasserlauf der diese „südlichen“ Gewässer unter der Wasserscheide hindurch zum schon erwähnten Kautztaler Graben dachte.
Auch wir wollen wieder auf die Nordseite und gehen im Huttal aufwärts auf der Forststraße bis an die Bundesstraße. Schräg gegenüber ist ein Parkplatz, über den unser Weg noch einmal zum Polsterberger Hubhaus führt. Diesmal steigen wir ins Tal hinab, kommen vorbei am Polstertaler Teich (Wo, wie erinnerlich, die Wasserräder für die Hubkunst standen) und am Polstertaler Zechenhaus mit einem Campingplatz in der Nähe. Eine Forststraße begleitet eine Weile das „Schwarze Wasser“ talwärts. Dann geht es rechts ab auf den 10-H-Weg über den
Grasstieg zurück nach Altenau. 14 km waren unser heutiges Tagespensum.
Wasser sammeln im Hochharz
Die dritte Wanderung soll uns an den Anfang des Dammgrabens führen, dorthin, wo in den Hochmooren des Oberharzes, im niederschlagsreichsten Gebiet, die entferntesten Gewässer angezapft und gesammelt werden. Ausgangspunkt für die Wanderung ist Torfhaus, ein Ortsteil von Altenau, mit rund 800 m die höchstgelegene Siedlung des Harzes und damit ganz Niedersachsens. Unsere Wanderung führt uns heute fast ausschließlich durch ein Naturschutzgebiet mit zwergwüchsigen, stark durch Wind und Eisbruch verkrüppelten Fichten, durch Hochmoore mit seltener Flora. Vom Großparkplatz mit Hotels und Gaststätten ringsum wenden wir uns südwärts, gehen parallel zur Bundesstraße und treffen bald auf eine weitere Häusergruppe. Hinter ihr beginnt der Goetheweg. Goethe war im Dezember 1777 zu Fuß unterwegs, um den Brocken zu besteigen – wintertags damals ein mutiges Unterfangen. Auch wir folgen zunächst einmal seinen Spuren, rechterhand vom Abbegraben begleitet. Sein moorig-braun gefärbtes Wasser kommt uns entgegen. Goethe selbst hat den Graben nicht gekannt, er entstand erst fünfzig Jahre später. Bis ins Brockenfeld reicht dieser bergwerksfernste Graben. Nicht allein die Rinnsale aus dem wie ein Schwamm von Wasser gesättigten Moorgrund sind seine Nahrung. Die ganze Abbe, ein Bach, der eigentlich nach Norden der Ecker zufließt, wird vereinnahmt und westwärts entführt. Bald stoßen wir auf den Kaiserweg (17 H).
Auf ihm, der quer über das Gebirge geht, soll 1073 Kaiser Heinrich IV. vor den Sachsen aus der Harzburg geflohen sein. In südlicher Richtung auf ihm wandernd, verlassen wir für einige Zeit das mit unserer Wasserwirtschaft zusammenhängende Gebiet. Landschaftlich gibt es eine Menge Interessantes. Wir steigen – mit wunderschönen Ausblicken auf den ganz nahen Brocken – hinauf zu den Hopfensäcken, einer Granitfelsgruppe, 860 m über NN. Wieder abwärts gehend, stoßen wir auf den Ulmerweg (17 J), von dem wir gleich wieder rechts abzweigen, um auf dem 9-D-Weg durch das Quellgebiet der Oder zum Gasthaus Oderbrück zu gelangen. Über die Straße, weiter abwärts auf dem 12-C-Weg, kommen wir zum Oderteich. Mit 1,7 Mio. cbm Stauinhalt zählt er eigentlich zu den Talsperren, aber den Begriff gab es noch gar nicht, als man ihn 1714 – 1721 anlegte. Wer interessiert ist, mag um den Teich herumwandern, um seinen Damm näher zu betrachten. Dessen Wasserseite besteht nämlich aus riesigen Granitblöcken, die mit Eisenklammern verbunden und mit Blei fugendicht verstemmt wurden. Der Oderteich versorgte einst den Bergbau um St. Andreasberg. Man sollte glauben, dass die Andreasberger damit auch das Recht auf sein Einzugsgebiet hatten. Weit gefehlt: Der Bergbau von Clausthal und Zellerfeld streckte seine Arme auch bis hierher aus.
Nördlich von Teich zog der Flörichshaier Graben Wasser ab, an der Westseite tat der Clausthaler Flutgraben das gleiche. Zu den Letzteren steigen wir von der Stauwurzel des Oderteichs durch die Sonnenkappe auf. Der Graben kommt von Westen, an seinem entferntesten Punkt hat er die nach Süden fließenden Sieber angezapft. Und auch vom Südhanges 928 m hohen Bruchbergs hat er alle Rinnsale gefasst. Wir folgen dem Lauf des Wassers östlich um den Bruchberg herum bis zur steilen Wand, wo er in den Nabentalbach mündet. Der stürzt über den Nabentaler Wasserfall in die Tiefe, wird unten wieder durch einen Graben aufgefangen, welcher kurz darauf in den Dammgraben mündet. Dem steilen Fall des Wassers kann unser Weg nicht folgen. Wir können seinen Weg in die Tiefe am Hedwigslick nachschauen, wenn wir die Autostraße etwa 200 m abwärts gehen. Dann machen wir kehrt, gehen die Straße wieder hinauf und gehen links ab auf den 18-B-Weg, der uns nach 1,5 km wieder zurück nach Torfhaus bringt. Vorher kreuzen wir in einer Senke kurz hintereinander den Flörichshaier Graben und den heute zuerst gesehenen Abbegraben. Als typische Gräben werden wir sie nicht erkennen. Auch sie rauschen hangabwärts, um weiter unten am eigentlichen Beginn des Dammgrabens wieder aufgefangen zu werden. Die gesamte Wegstrecke betrug rund 13 km, mit der Schleife um den Oderteich sind es etwa 800 m mehr.
Wir haben den Anfang und das Ende des Dammgrabens gesehen und auch ein wichtiges Mittelstück, das ausgeklügelte Technik auf dem Weg des Wassers zu den Stauteichen zeigte. Es könnte damit genug sein, wenn wir nicht noch ein Stück anzubieten hätten, an dem zwar kaum mehr unbekannte bauliche Finessen zu entdecken sind, das sich aber wegen der landschaftlich schönen Umgebung noch zu erwandern lohnt. Jenes Teilstück, das am Nordhang des Bruchbergs hoch über Altenau entlangführt. Damit kennen wir dann auch den Hauptstrang es Dammgrabens komplett. Startpunkt ist Altenau, und zwar die Straße „An der Bornkappe“. Gleich links zweigt der Wellner-Fahrweg ab (18 G), mit dem wir ständig an Höhe gewinnen. Am Schlachtkopf, 626 m hoch, erreicht er den Dammgraben. Wir wollen hier einen Abstecher entgegen seiner Fließrichtung bis zum Nabentaler Wasserfall auf uns nehmen, den wir auf unserer letzten Wanderung von oben sahen. Hin und zurück4 km. Der Weg 10 G gekennzeichnet und heißt Magdeburger Weg. Pioniere der dortigen Garnison legten ihn vor dem ersten Weltkrieg an.
Der Weg ist eine echte Pioniertat, ebenso wie der Graben. Beide zeihen sich wildromantisch am steilen, mit Felsklüften durchsetzten Hang entlang. Wir kommen vorbei am Mundloch des zweiten Kellwasser – Wasserlaufs. Noch ein Zubringer des Dammgrabens, der von Norden herankommt. Wieder zurück zum Ausgangspunkt, gelangen wir nach wenigen 100 Metern zum Förster-Ludewig-Platz mit einem Gedenkstein für die gefallenen Harzer Waldarbeiter. Früher einmal ging hier das Wasser hinab zur Grube „Englische Krone“. Auch in Altenau ging einst der Bergbau um, aber auch er hatte sich den Clausthaler Interessen unterzuordnen. So wurde beispielsweise Altenauer Gewerken, die 1820 im Schultal wieder tätig werden wollten, vom Bergamt in Clausthal die Genehmigung versagt, weil es „an Aufschlagwasser fehlen dürfte, welche der Dammgraben jetzt fasst und nur bei Flutzeiten missen könnte“. Mit dem Dammgraben „entführt“ wurden das Alte und Neue Schneidwasser, die unser Weg und der Graben wenig später kreuzen. Wir überqueren die Autostraße nach Torfhaus. Immer noch ist der Dammgraben unser Begleiter. Er biegt ins Tal der Altenau und der Kleinen und Großen Oker, und zwischendurch umrundet er immer wieder Bergnasen, von denen man auf die Bergstadt im Tal hinab blickt. Wir kommen vorbei am Silberbrunnen, wo der Graben in ein Tosbecken hinabbraust.
Solche „Gefällstrecken“ lassen erkennen, dass der Graben nicht in einem Zuge konzipiert und angelegt wurde. Man hat viel mehr, soweit es möglich war, auf alte, schon vorhandene Teilstücke zurückgegriffen, die vorher dem Altenauer Grubenbetrieb
gedient hatten. Am Grabenhaus Rose können wir den Graben verlassen und hinab nach Altenau steigen. Dann betrug unsere heutige Wegstrecke 14 km. Wer jedoch den Ehrgeiz hat, - wenn schon, denn schon – das restliche Stück bis zum Sperberhaier Dammhaus „mitzunehmen“ und damit die Dammgrabenwanderung zu komplettieren, der muss noch weitere 5 km auf sich nehmen. Der schöne Weg und das Gefühl, dem Dammgraben von A (wie Abbegraben) bis Z (wie Zellerfeld) kennengelernt zu haben, ist die Mühe allemal wert.
Quelle: Hans G. Dirks
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